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Wahlkampf, Bolschoi und Fremdenhass – Notizen aus Moskau

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Zwischen Russland und Deutschland liegen nur 20 Minuten. Der Flieger hebt um 17.20 in Moskau ab und landet um 17.40 in Köln. Die drei Stunden, die die beiden Länder trennen, sind eine kurze Zeit. Ich nutze sie, um über Dinge nachzudenken, für die im hektischen journalistischen Alltag keine Zeit war. Vor drei Jahren hatte ich Russland verlassen, jetzt habe ich dort wieder anderthalb Monate verbracht. Hier sind die Dinge, die mir aufgefallen sind:

Fremdenhass als Alltagssache

Im November ist es sehr kalt in Moskau. Ich brauche unbedingt Einlegesohlen für meine Schuhe. Die findet man – wie allen anderen Kleinkram – in den Übergängen der Metro. Vor mir in der Schlange steht ein dunkelhaariger Mann, der mit Akzent Russisch spricht. Er kauft gleich zwei Paar und bittet die Verkäuferin um einen Preisnachlass. Die Oma reagiert mit einem Aufschrei: „Sogar die Russen feilschen nicht mit mir. Und wer bist du?“ – „Ich bin doch auch Russe. Ich lebe hier seit zehn Jahren“, sagt der Mann. „Egal wie lange du hier lebst, du wirst nie dazugehören. Du hast einen anderen Glauben“, erwidert die Oma und dreht sich weg.

Eine Freundin von mir hat sich eine Datscha in der Moskauer Vorstadt gekauft. Sie will das alte Haus renovieren. Und wer hilft ihr dabei? „Die Tschutschmeki“, sagt sie. So nennt sie die Gastarbeiter aus Zentralasien. Rund zwei Millionen von ihnen leben in Moskau.  Es gibt hier eine Straße, einen „Gastarbeiter-Strich“, auf dem man sich zu jeder Tages- und Nachtzeit billige Arbeitskraft kaufen kann.

In Moskau bin ich den Gastarbeitern jeden Tag begegnet. Morgens, wenn ich zur Arbeit ging, kehrten sie die Straße. Abends, wenn ich nach Hause kam, arbeiteten sie immer noch an der Baustelle vor meinem Haus. Sie erledigen wichtige Arbeiten in Moskau. Doch in der Wahrnehmung vieler Moskauer sind sie Menschen zweiter Klasse.

Bolschoi-Hype und Wohnungsfrage

Am 26. Oktober ist das Bolschoi-Theater nach sechs Jahren Restaurierung wiedereröffnet worden. Am Abend stehen rund hundert Menschen vor dem Theater. Wie gebannt schauen sie auf die zwei Bildschirme, auf denen das Konzert übertragen wird. Es ist so kalt, dass ich meine Füße kaum noch spüre. Ich spreche die Menschen an. Sie erzählen mir von der Wiedergeburt des nationalen Stolzes, der Einmaligkeit des Moments und ihrem grenzenlosen Glück. Eine Oma liest ein Gedicht vor, das sie dem Bolschoi gewidmet hat. Das Strafverfahren wegen Unterschlagung beim Umbau des Theaters interessiert sie genauso wenig wie die Kälte. Sie will bis zum Ende des Konzerts durchhalten.

In das Gebäude hineingehen kann sie nicht. Für das Eröffnungskonzert gab es keine Tickets. Nur Auserwählte wurden eingeladen. Allerdings konnte man auf dem Schwarzmarkt Einladungen erwerben. Bis zu zwei Millionen Rubel (ca. 50.000 Euro) kostete eine Karte. Für das Geld kann man eine kleine Wohnung in einem der Moskauer Vorstädte kaufen. Was mich zur berühmten Moskauer Wohnungsfrage bringt.

„Die Moskauer sind ganz normal, nur die Wohnungsfrage hat sie verdorben“, sagte der Schriftsteller Michail Bulgakow. Ich musste es am eigenen Leib erfahren. An einem Sonntagmorgen tauchte der Vermieter meiner Wohnung auf und sagte, dass ein Gerichtsverfahren wegen der Wohnung laufe und ich doch so schnell wie möglich umziehen solle. Seine Ex-Frau sei in der Wohnung registriert. Sie habe zwar keinen Anspruch hier zu wohnen, weil sie ihn vor sieben Jahren verlassen habe, aber das Gericht sei anderer Meinung gewesen. Aha. „Er hat dir doch eine andere Wohnung angeboten. Du hattest Glück“, beruhigt mich der Immobilienmakler, der mir die Wohnung (für eine satte Provision) vermietet hat.

Wahlkampf à la russe

   

Vor den Parlamentswahlen hängen in Moskau an jeder Ecke die Wahlplakate. „Russland den Russen“, droht Wladimir Schirinowskij von seinem Wahlplakat. „Wir wollen Veränderungen“, sagen die Oppositionellen von Jabloko, die schon wissen, dass sie es nicht in die Duma schaffen. Die Kommunisten stellen paradoxerweise nach wie vor die einzige Alternative zur Regierungspartei. Und die ist bei dieser Wahl noch weiter gegangen als beim letzten Mal. Das Bild auf den staatlich finanzierten Plakaten mit dem Aufruf zum Urnengang (Bild oben rechts) ist das gleiche wie auf den Wahlplakaten der Partei „Einiges Russland“ (Bild oben links). Der Staat und die Putin-Partei tun nicht einmal so, als ob es eine Trennung zwischen ihnen gebe.


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